Leben, Sterben und Wiedergeburt
Leben, Sterben und Wiedergeburt lautet das Thema unseres diesjährigen Rundbriefes. Dieses Thema hat sich im Laufe des letzten Jahres ganz von selbst herauskristallisiert. Ausschlaggebend waren vielleicht der Tod eines Familienmitgliedes, Gespräche mit Freunden über den Tod oder mit jenen, die an schweren Krankheiten erkrankt sind, oder die starke Präsenz, die ein körperloser Rinpoche immer noch hat.
Eigentlich wollte ich an dieser Stelle einen wundervollen Artikel von Chagdug Tulku Rinpoche über die Vorbereitung auf den Tod drucken (Chagdug Tulku, Tore in die Freiheit, Kapitel: Vorbereitung auf den Tod). Leider ist es uns nicht gelungen, die Erlaubnis für den Druck zu bekommen. Ich versuche daher, die wichtigsten Punkte hier mit eigenen Worten wiederzugeben. Ich bin mir durchaus darüber im Klaren, dass dies nicht im Geringsten an die äußerst mitfühlenden und klaren Belehrungen von Chagdug Tulku Rinpoche heranreicht. Ich empfehle daher denen, die sich für dieses Thema interessieren, den Artikel noch einmal selbst zu lesen. Außerdem habe ich Inhalte aus folgenden Büchern mit in den Artikel einfließen lassen:
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Dudjom Rinpoche: Counsels from my heart. Kapitel: An introduction to the Bardo.
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Dzongsar Jamyang Khyentse:
What makes you not a buddhist. -
Irvin D. Yalom: In die Sonne schauen. Wie man die Angst vor dem Tod überwindet.
Das letzte Buch ist von einem amerikanischen Psychotherapeuten geschrieben und hat nichts mit Religion zu tun, sondern befasst sich mit der Angst vor dem Tod und Möglichkeiten, diese zu identifizieren, damit umzugehen und das Leben dadurch zu bereichern. Ein sehr sensibles und durchaus hilfreiches, empfehlenswertes Buch, wie ich finde.
Hier in Europa begegnet man dem Tod eher selten. Er wird versteckt und wie etwas Unsauberes, Anormales behandelt. Selbst Leichenwagen sieht man nicht mehr auf den Straßen. In Indien gehört es dazu, ab und zu mal Leichen zu sehen oder Leichenzüge, Trauernde, oder mit alten Menschen im Zug zu sitzen, die auf dem Weg nach Varanasi sind, zum heiligen Ganges, um sich dort auf ihre letzte Reise vorzubereiten.
Warum verstecken wir den Tod?
Haben wir Angst uns anzustecken? Theoretisch wissen wir ja, dass das Leben unweigerlich mit dem Tod endet, doch wir versuchen, die Tatsache so lange wie möglich zu ignorieren. Zum Geburtstag blasen wir fröhlich die Kerzen auf dem Kuchen aus – und übersehen dabei die Tatsache, dass all die Lichter für Jahre stehen die unwiderruflich vorbei sind und uns nur näher an den Tod heranbringen. Wir färben uns die Haare, machen Yoga, straffen und bepinseln unsere Falten, essen nur Bio und alles, um uns der Illusion hinzugeben, wir würden nicht altern. Wem hilft dieses Ignorieren? Je mehr wir den Tod verdrängen, desto einfacher fällt es uns, sinnlose Dinge zu tun. Je mehr wir den Tod ins Bewusstsein holen, desto bewusster leben wir auch.
Warum sollten wir uns mit dem Tod auseinandersetzen?
Die Auseinandersetzung mit dem Tod kann sich direkt auf unser Lebensgefühl auswirken.
Sie kann uns frei machen von vielen Ängsten und Kleinlichkeiten, uns die Augen für die Kostbarkeit des Augenblicks öffnen. Angst vor dem Tod erscheint nur selten unmaskiert. Meist manifestiert sie sich ganz versteckt als allgemeine Beunruhigung, als Paranoia, Einsamkeit, Schuld, als die Kraft die uns alle möglichen und unmöglichen Dinge tun lässt. Oft ist die Angst vor dem Tod gekoppelt mit dem Gefühl eines ungelebten Lebens. Je geringer die Zufriedenheit im Leben, desto größer die Todesfurcht. Wenn man sich dem Tod stellt, wenn man lernt, dem Tod ins Gesicht zu schauen, bändigt das nicht nur die Angst, sondern führt durch ein wirkliches Begreifen der Endlichkeit dieses Lebens dazu, die Kostbarkeit jeden Augenblickes auszukosten und Mitgefühl für sich selbst und seine Mitmenschen zu entwickeln. Die Beschäftigung mit dem Thema Tod kann also zu einer Anleitung für das Leben selbst führen.
Sie kann zu der Erkenntnis führen, dass in unserem Leben keine positive Veränderung geschehen, solange wir uns an den Gedanken klammern, dass der Grund dafür, dass wir nicht gut leben, außerhalb von uns selbst liegt.
Es sind nicht unbedingt unsere Erfahrungen selbst, die die Qualität unseres Lebens vermindern, sondern unsere Interpretationen und Bewertungen dieser Erfahrungen.
Andererseits sehen die Buddhisten im Tod einen starken Helfer auf dem Weg zur Freiheit. Ein tibetisches Sprichwort sagt: „Wenn Du mal musst, ist es zu spät eine Latrine zu bauen.“ Die Vorbereitung auf den Tod gehört also in die Zeit des Lebens und da wir nicht wissen, wann er uns begegnet wird, ist es wohl gut „allzeit bereit“ zu sein. Also jetzt. Im Moment unseres Todes wird unsere Praxis dann ihre Früchte zeigen. Wenn man erkennt, dass der Tod unausweichlich ist, ein Teil eines Kreislaufes, verschwindet jede Hoffnung, und wo keine blinde Hoffnung ist, ist auch keine Enttäuschung.
Der Prozess des Sterbens
Es ist äußerst wichtig den Moment des Todes als solchen zu identifizieren! Gib alle Anhaftung an die Dinge dieses Lebens auf. Wenn der Tod bevorsteht wird dir aufgehen, dass du rein gar nichts aus deinem Leben mitnehmen kannst. Das Einzige, das dich begleitet, ist dein Karma. Um der Anhaftung an deinen Besitz entgegen zu wirken und Verdienst anzusammeln, ist es gut, rechtzeitig ein Testament zu schreiben und z.B. einem Kloster etwas zu spenden. In den Klöstern wird Verdienst unablässig gewidmet, wodurch es ungeheuer stark vermehrt wird und langfristig wirkt.
Reinige deinen Geist, indem du deine schlechten Taten bekennst. Bete zu den drei Juwelen und ihrer Essenz – deinem Wurzellama. Dies sind die Grundvoraussetzungen, um in ein reines Land geführt zu werden. Wenn du die Übertragung des Bewusstseins in ein reines Land (Phowa) geübt hast, kannst du diese Technik anwenden, oder ein Lama oder Freund, der weiß wie es gemacht wird, kann das für dich tun. Diese Praxis sollte gleich gemacht werden, nachdem die Atmung aufgehört hat.
Wenn du stirbst, lösen sich die Elemente, aus denen du zusammengesetzt bist, voneinander und ineinander auf. Wenn diese Auflösung vollständig ist, stoppt deine Atmung. Die im Kopf gespeicherte männliche Energie sinkt herab und die im Bauch gespeicherte weibliche Energie steigt herauf – beide verschmelzen im Herzen miteinander und in diesem Moment verlässt dein Geist den Körper. Hast du keine tiefe, beständige Erfahrung in der Meditation, fällst du an diesem Punkt in einen Zustand der Bewusstlosigkeit.
Hast du eine sehr gefestigte Meditation, löst sich dein Bewusstsein in den Raum und der Raum in eine Erfahrung von klarem Licht auf. Dieses klare Licht hat überhaupt nichts mit Licht im üblichen Sinne zu tun, sondern beinhaltet Klarheit als Fehlen von Täuschung, von Subjekt-Objekt-Dualität, von Dumpfheit und Vorstellungen. Wenn du in deiner Meditation dieses klare Licht erkannt hast – und ihm dann in dem Raum nach dem Tod wieder begegnest, ist das so, als würden sich Mutter und Kind treffen. Das ist die Dharmakaya-Befreiung.
Hast du nicht genügend praktiziert, erscheint dir das klare Licht nur wie ein Aufblitzen und du erwachst in schrecklichen Visionen. Die friedlichen und zornvollen Gottheiten erscheinen dir. Wenn du in den auftauchenden Phänomenen das Strahlen deines eigenen Gewahrseins erkennst, wird dieser Übergang für dich zur Sambhogakaya-Befreiung.
Erkennst du die Erscheinungen nicht als dein eigenes inneres Gewahrsein, erschrecken sie dich fürchterlich. Wenn deine Angst am größten ist, verblassen die Visionen und dein Geist verlässt den Körper aufgeregt durch die entsprechende Öffnung. Du betrittst nun den Bardo. Jetzt ist dein Geist ohne jegliche physische Unterstützung, nur ein subtiler Körper aus Licht. Du kannst an jeden beliebigen Ort gehen, einfach indem du daran denkst, bist du schon da. Du weißt, was andere Leute, z.B. deine Familie und Freunde (über dich) denken. Trotz deines fleischlosen Körpers hast du Erfahrungen von Hunger und Durst, Hitze und Kälte. Hier können Gebete und verdienstvolle Taten, die andere nach deinem Tode für dich ausführen, von großem Nutzen für dich sein. Hast du in deinem Leben die Angewohnheit gehabt, in aussichtslosen Situationen zu beten und an deinen Wurzellama zu denken, wirst du das hier wieder tun. Sobald du dann an die Quelle deiner Zuflucht denkst, wirst du im Reinen Land des betreffenden Weisheitswesens wiedergeboren. Dies ist die Nirmanakaya-Befreiung.
Geschieht dies nicht, sucht sich dein ruheloser, gejagter Geist Schutz und tritt ein in den Leib deiner zukünftigen Mutter und du stürzt dich in einen neuen Traum. Deine nächste Existenz beginnt...
Sei dir darüber klar, dass alles vergänglich ist! Erinnere dich, dass Emotionen nur Leiden hervorbringen und dass die Phänomene keine eigene Existenz haben! Und erfahre Nirvana, welches jenseits aller Konzepte ist.
Kleine Übung
Nicht nur in der griechischen Mythologie sind der Tod und der Schlaf Brüder (Hypnos und Thanatos). Der Schlaf ist ein ganz kleiner Tod und wir können ihn nutzen, um uns „im Sterben zu üben“. Stell dir vor dem Zubettgehen vor, dass dies dein letzter Tag gewesen ist. Morgen wirst du nicht mehr aufwachen. Lass Dein Leben an dir vorüberziehen, reflektiere es! Visualisiere ein Weisheitswesen über deinem Kopf und reinige, mittels der vier Kräfte, deine Untugenden. Gib im Geiste deinen Besitz all jenen, die es brauchen können. Widme den Verdienst allen Lebewesen. Dann stell dir vor, wie dein Bewusstsein am Scheitel deines Kopfes heraustritt und sich mit dem Weisheitswesen oder dem ursprünglichen Raum vereint. Die Vertrautheit mit dieser Übung wird deine Meditation zum Zeitpunkt deines Todes wirkungsvoller machen.
Wie gefestigt deine Meditation zum Zeitpunkt deines Todes ist, kannst du einschätzen, indem du deine Träume beobachtest. Wenn du nicht mehr in die Traumphänomene verstrickt bist, sondern im Gewahrsein verweilen kannst ist deine Übung sehr weit entwickelt, der Tod ist ein Tor zur Befreiung für dich. Ist dir im Traum bewusst, dass du träumst, wirst du auch während des Sterbens eine Kontrolle über die Situation haben. Wenn du von deinen Traumbildern gefangen bist und von deinen Emotionen überwältigt, wirst du auch im Tod emotional beeinflusst sein und es sind immer die Emotionen, die zum Leiden führen.
Wie können wir einem Sterbenden beistehen?
Sicher wäre es schön, einen Ort zu schaffen oder zu finden an dem man „in Frieden“ sterben kann, einen Ort, wo kaum Ablenkung vorhanden ist und Konzentration ganz natürlich entsteht. Da der Tod uns aber entweder unvorbereitet oder nach einer langen Krankengeschichte trifft, ist dies sicherlich schwierig. Die meisten medizinischen Einrichtungen haben kein entsprechend, geschultes Personal, und der Tod ist in diesen Einrichtungen etwas sehr Unpersönliches. Ich weiß nicht, was für einen Einfluss die hektischen medizinischen Maßnahmen auf die Konzentration des Sterbenden tatsächlich haben. Aber was für Möglichkeiten haben wir? Leider gibt es, soweit mir bekannt, keine alternativen Sterbehäuser. Wir könnten den Sterbenden also unterstützen, indem wir ihm helfen das bestmögliche Umfeld zu schaffen.
Unsicherheit im Umgang mit dem Tod ist ganz normal. Niemand von uns kennt sich wirklich damit aus. Manchmal werden in der Gegenwart des Sterbenden Familienangehörige und Freunde distanziert, sie wissen nicht, was sie sagen sollen und vermeiden Nähe aus Angst, mit ihrem eigenen Tod konfrontiert zu werden. Wir können dem Sterbenden helfen, indem wir authentisch bleiben, auch wenn dies bedeutet, dass wir mit ihm über unsere eigene Unsicherheit im Umgang mit dem Tod sprechen und ihn fragen, was für ihn am angenehmsten ist. Manche wünschen sich vielleicht körperlichen Kontakt und andere wollen nur reden oder ruhig beisammen sitzen.
Wir sollten den Sterbenden daran erinnern, dass seine Elemente sich auflösen und er sterben wird. Wenn er kein praktizierender Buddhist ist, kann man ihn bitten, sich auf den Raum oberhalb seines Kopfes zu konzentrieren. Dies hat zwei positive Wirkungen: Erstens lenkt es ihn von Schmerz und Angst ab. Zweitens verlässt sein Bewusstsein den physischen Körper nicht durch eines der unteren „Tore“, die zur Wiedergeburt in einem niederen Bereich führen. Acht Fingerbreit hinter dem ursprünglichen Haaransatz, am obersten Punkt des Kopfes, liegt das Tor zur Wiedergeburt in einem Reinen Land. Konzentriert er sich in den Tagen vor dem Tod darauf und visualisiert, dass er mit dem Raum über dem Kopf oder mit einem Weisheitswesen, dem er vertraut, verschmilzt, wird er zumindest nicht in einem der niederen Bereiche wiedergeboren. Einem Sterbenden buddhistische Visualisation beibringen zu wollen, stiftet sicher nur Verwirrung. Man sollte den Sterbenden unterstützen, ein Objekt seines Vertrauens über seinem Kopf zu visualisieren und zu beten, dass er mit ihm vereint wird. Berühre den Sterbenden im Augenblick des Todes am obersten Punkt seines Kopfes, jedoch an keinen anderen Teil seines Körpers.
Wenn es möglich ist, sollte von dem Sterbenden rechtzeitig Abschied genommen werden. Im Augenblick des Todes sollte er nicht von seinen Verwandten und Nahestehenden abgelenkt werden.
Aus buddhistischer Sicht ist es ratsam den Körper des Toten einige Tage aufzubewahren. Der Geist sollte sich erst vollständig vom Körper gelöst haben, bevor der Körper bewegt wird. Wir können für den Verstorbenden beten, ihm Speisen und Kleidung opfern. Dies wird ihn im Bardo unterstützen, ihn beschützen und so von großer Hilfe für ihn sein. Gebete sind wie schützende Begleiter und sie können den Sterbenden leiten. Der Bardo dauert 49 Tage. Während der ersten einundzwanzig Tage nimmt der Verstorbene sich noch in seiner alten Form wahr – später hat er dann Wahrnehmungen entsprechend seiner zukünftigen Wiedergeburt. Daher sind Gebete und Ansammlungen von Verdienst, die man dem Verstorbenen widmet, besonders in den ersten drei Wochen von entschiedener Bedeutung.
Eine äußerst kompakte und praktikable Erklärung zur Vorbereitung auf den Tod, die ich euch nicht vorenthalten möchte, gab Padmasambhava an Yeshe Tsogyal:
Er war dabei, Tibet zu verlassen und da sagte sie zu ihm: „Erhabener Meister, Ihr geht, um die Rakshas zu bezwingen, und lasst mich hier in Tibet zurück. Meister, obwohl ich Euch so lange gedient habe, wird diese alte Frau angesichts des Todes von Unsicherheit befallen. Ich bitte Euch deshalb inständig, mir eine Unterweisung zu geben, die alle Lehren in sich vereint, die kurz ist und einfach zu praktizieren.“
Der erhabene Meister erwiderte: „Du, die Du voll hingebender Verehrung bist und einen vertrauensvollen und tugendhaften Geist hast, höre mir zu.
Obwohl es viele tiefsinnigen Schlüsselunterweisungen für den Körper gibt: Bleibe einfach frei, entspannt und gelassen, so, wie du dich wohl fühlst. Darin ist alles enthalten.
Obwohl es viele Schlüsselunterweisungen für die Rede gibt, wie die Kontrolle des Atems und des Rezitieren von Mantras: Schweige einfach, sei still und stumm wie jemand, der die Sprache verloren hat. Darin ist alles enthalten.
Obwohl es viele Schlüsselunterweisungen für den Geist gib, wie Konzentration, Loslassen, Ausstrahlen, Auflösen, Sich-nach-Innen-Wenden, alles ist darin enthalten, ihn einfach in seinem natürlichen Zustand zu lassen, ungekünstelt, offen und entspannt.
In diesem Zustand ist der Geist nicht nur in Ruhe. Fragt man sich: „Ist er nichts?“, so schimmert er und blitzt auf wie Dunstschleier im Sonnenlicht. Fragt man sich aber: „Ist er etwas?“, so hat er keine erkennbare Farbe oder Form, ist nichts als gänzlich leer und vollständig gewahr – das ist die wahre Natur des Geistes.
Dessen vollkommen gewiss zu sein, nachdem man des erkannt hat – dies ist die Sicht. Unabgelenkt in diesem Zustand der Stille zu verweilen, ohne etwas ändern zu wollen oder an etwas festzuhalten – dies ist die Meditation. Gegenüber den Erfahrungen der sechs Sinneskäfte frei von festhalten Wollen und Anhaften, Annehmen oder Ablehnen, Hoffnung oder Angst zu sein – dies ist das Verhalten.
Wann immer Zweifel auftaucht oder ein Zögern entsteht, bete zu deinem Meister. Halte dich nicht unter gewöhnlichen, weltlichen Menschen auf, praktiziere in Zurückgezogenheit. Gib das Hängen an dem auf, was dir am teuersten ist, sowie an demjenigen Wesen, zu dem du in diesem Leben die stärkste Verbindung fühlst, und praktiziere. Auf diese Weise wird dein Geist, obwohl dein Körper seine menschliche Form behält, dem der Buddhas gleichen.
Angesichts des Todes praktizierst du, wie nun folgt:
Durch das Sich-Auflösen des Erdelements ins Wasserelement wird der Körper schwer und kann sich nicht mehr aufrecht halten. Durch das Sich-Auflösen des Wasserelements ins Element Feuer trocknen Mund und Nase aus. Wenn das Feuerelement sich ins Element Wasser auflöst, schwindet die Körperwärme. Der Wind, der sich ins Bewusstsein auflöst, bewirkt, dass man nur noch mit einem Rasseln ausatmen und mit einem Keuchen einatmen kann.
Du hast das Gefühl, von einem riesigen Berg erdrückt zu werden, von Dunkelheit eingeschlossen zu sein oder in die Weiten des Alls zu fallen. All diese Erfahrungen werden von donnernden und schallenden Tönen begleitet. Der Himmel wird von einem strahlenden Glanz sein wie auseinander gefalteter Brokat.
Dann werden die natürlichen Manifestationen deines Geistes, die friedvollen, rasenden und halbrasenden Gottheiten und jene mit verschiedenen Häuptern, unter einer Kuppel von regenbogenfarbigen Lichtern den Himmel erfüllen. Waffenschwingend werden sie „Schlage! Schlage!“, „Töte! Töte!“, „Hung! Hung!“, „Phat! Phat!“ rufen und andere wilde Laute ausstoßen. Dazu wird ein Licht erscheinen, so stark wie hunderttausend Sonnen.
In diesem Augenblick wird deine innere Gottheit dich daran erinnern, die Bewusstheit zu wahren, indem sie dir sagt: Lass dich nicht ablenken! Lass dich nicht ablenken! Dein innerer Dämon wird versuchen, all die Erfahrung, die du erlangt hast, zusammenbrechen zu lassen. Er wird scharfe und wilde Laute ausstoßen und dich verwirren.
Hier nun musst du wissen: Das Gefühl, von einem Berg erdrückt zu werden, rührt von deinen eigenen Elementen her, die sich auflösen. Hab keine Angst davor! Das Gefühl, von Dunkelheit eingeschlossen zu werden, rührt her von dem Sich-Auflösen deiner fünf Sinne. Das Gefühl, in die Weite des Alls zu fallen, entsteht dadurch, dass dein Geist, da er sich von deinem Körper getrennt hat, nun ohne Stütze ist und deine Atmung aufgehört hat.
Alle Erfahrungen von regenbogenfarbigen Lichtern sind die natürlichen Manifestationen deines eigenen Geistes. All die friedvollen und rasenden Gottheiten sind die natürlichen Ausformungen deines eigenen Geistes. Alle Laute sind deine eigenen Laute. Alle Lichter sind deine eigenen Lichter. Zweifle nicht daran! Sowie du Zweifel fühlst, wirst du in Samsara fallen. Wenn du – nachdem du dies alles als die Selbstentfaltung deines eigenen Geistes erkannt hast – fähig bist, hellwach in leuchtender Leerheit zu verweilen, wirst du allein dadurch die Drei Kayas und die Erleuchtung erlangen. Selbst wenn du in Samsara geworfen würdest, wirst du ihm entgehen.
Die innere Gottheit ist dein gegenwärtiges Halten des Geistes in unzerstreuter Achtsamkeit. Von jetzt an ist es von entscheidender Bedeutung, ohne Hoffnung und ohne Frucht gegenüber den Objekten der sechs Sinneskräfte und gegenüber freudvollen und leidvollen Erfahrungen zu sein, dich nicht an sie zu klammern und an ihnen festzuhalten. Wenn du hierin jetzt Festigkeit erlangst, wird du im Bardo deinen natürlichen Zustand einnehmen und Erleuchtung finden. Aus diesem Grund musst du unbedingt von nun an ohne jede Ablenkung praktizieren.
Der innere Dämon ist deine gegenwärtige Neigung zu Unwissenheit, dein Zweifeln und Zögern. Lass dich, wenn du stirbst, von den verschiedenen furchterregenden Phänomenen wie Klängen, Farben und Lichtern nicht faszinieren. Zweifle nicht, hab keine Angst. Wenn du auch nur einen Augenblick lang zweifelst, wirst du in die samsarischen Bereiche fallen. Du musst also unerschütterliche Festigkeit entwickeln.
Zu diesem Zeitpunkt werden die Eingänge in den Mutterschoß wie himmlische Paläste erscheinen. Widerstehe ihrer Anziehungskraft, sei standhaft, ohne Hoffnung, ohne Angst! Ich gebe dir meinen Eid darauf, dass du auf diese Weise Erleuchtung erlangen wirst, ohne durch weitere Wiedergeburten gehen zu müssen.
Es ist nicht so, dass einem ein Buddha hilft, wenn man stirbt – deine eigene Bewusstheit ist von Anfang an erleuchtet. Und es ist nicht so, dass du in den Höllenbereichen Schaden nimmst – wenn das Haften an den Dingen sich ganz natürlich löst, wird die Angst vor Samsara und die Hoffnung auf Nirvana an der Wurzel durchschnitten.
Erleuchtung zu erlangen kann verglichen werden mit Wasser, das sich von Trübstoffen klärt, Gold, das von Unreinheiten gereinigt wird, oder mit einem wolkenverhandenen Himmel, der sich erhellt.
Nachdem du den dem offenem Raum gleichenden Dharmakaya zu deinem eigenen Nutzen und Wohl erlangt hast, wirst du das Wohl der Lebewesen, soweit der offenen Raum reicht, erfüllen. Nachdem du den Sambhogakaya und Nirmanakaya zum Wohl der anderen erlangt hast, wirst du den Lebewesen von Nutzen sein, so weit dein Geist die Phänomene durchdringt.
Selbst ein großer Sünder wie jemand, der Vater und Mutter getötet hat, wird nicht wieder in Samsara fallen, wenn ihm diese Unterweisung dreimal gegeben werden. Es gibt keinen Zweifel daran, dass er zur Erleuchtung gelangen wird.
Auch wenn du manch andere tiefgründige Lehre empfangen hast, ohne eine Unterweisung wie diese bleibst du weit vom Ziel entfernt. Praktiziere sie unermüdlich, denn du kannst nicht wissen, in welchem Daseinsbereich du dich wiederfinden wirst...“
(Die Geheimen Dakini Lehren, Kapitel: Die Quintessenz der mündlichen Unterweisungen)
Damit möchte ich mich erst einmal von euch verabschieden. Ich würde mich sehr freuen, wenn der Artikel euch inspiriert euch mehr mit dem Thema zu beschäftigen. Ihr könnt euch auch gern bei mir melden und dann würde ich euch den Text „Vorbereitung auf den Tod“ von Chagdug Tulku zukommen lassen.
Liebe Grüße von Anne Wanitschek
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